An(ge)dacht

  

Wir haben vor kurzem Familienfotos angeschaut. Es waren welche von den alten, schwarz-weißen. Manchmal sind sie ein bisschen unscharf, aber im großen und ganzen unverwüstlich. Darauf zu sehen: Die Verwandtschaft 1950 auf einer Reise an die Ostsee. Der Krieg war gerade vorbei, die jungen Männer waren glücklich davon gekommen. Und nun: Urlaub, Spaß und gute Laune. Man gönnt es ihnen auch 75 Jahre danach noch von ganzem Herzen. Was aber auffällt: Diese jungen Leute damals waren ja fast gar nicht zu sehen, so dünn waren die. Wenn man sie ins Profil gedreht hätte, wäre da wahrscheinlich nur ein Strich zu sehen gewesen. Klar, die hatten damals von allem zu wenig. Und so sahen sie dann auch aus. Ihrem Glück, am Leben zu sein, hat das offenbar keinen Abbruch getan. Uns geht es heute anders. Es wird mir kaum jemand widersprechen, wenn ich sage: Wir haben von allem zu viel. Und so sehen wir dann auch aus. Und das tut uns nicht gut und unserer alten, schönen Erde auch nicht. Kein Wunder, dass die Frage, wie wir unseren Überfluss reduzieren können, nicht mehr nur von ein paar Moralaposteln gestellt wird. Die Zeitschriften sind voll von Diätvorschlägen und immer neuen Ideen, ein paar Kilo abzuspecken. Minimalismus und Tiny - Häuser sollen Platz für das Wesentliche schaffen. Seit ein paar Jahren wird auch der so genannte „trockene Januar“ propagiert: Nach den schweren Festessen und den guten Getränken der Weihnachtstage mal ganz auf Alkohol verzichten: Wie gut das tut! In der Kirche gab‘s das schon immer. Nach den wilden Faschings– und Fastnachtsfeiern kam der Aschermittwoch und dann die Passions- und Fastenzeit. Nicht nur bei den Katholiken, auch bei den Evangelischen ist das Bewusstsein für diese besondere Zeit gewachsen. „7 Wochen ohne“ heißt die Aktion, die sich seit über 40 Jahren wachsender Beliebtheit erfreut und den Blick schärfen möchte für das, was wir wirklich brauchen und für das, worauf wir vielleicht einmal verzichten können. Die Zeit bis Ostern ist eine Einladung, einen Fastenakzent zu setzen. Vielleicht wirklich die Essgewohnheiten zu überdenken. Das Handy eine Stunde am Tag aus zu lassen. Sich Zeit zu nehmen für etwas, was immer zu kurz kommt, z.B. mal einen Besuch zu machen. … Ihnen fallen bestimmt auch noch Möglichkeiten ein, einmal das Muster unserer Überflussmentalität zu durchbrechen.